6. Nov. 2009 15:33APDRom/Italien
Kruzifix-Verbot: Kreuzzug gegen das Kreuz?
Protestantische Minderheit in Italien zufrieden – Römisch-katholische Kirche übt scharfe Kritik
Rom/Italien, 06.11.2009/APD In krassem Gegensatz stehen die Reaktionen der römisch-katholischen Kirche Italiens (Bischofskonferenz und Vatikan) und der protestantischen Minderheit im Lande auf das Kruzifix-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGHMR) in Straßburg. Das Urteil gilt vorerst nur in Italien, ist aber auch für andere Staaten relevant.
Stimmen aus dem Vatikan: Scharfe Kritik
Nach anfänglicher Zurückhaltung kritisierte der Vatikan das Kruzifix-Urteil scharf. Dieser sehe im Kruzifix ein elementares Zeichen für die Bedeutung der religiösen Werte in der italienischen Geschichte und Kultur, sagte Vatikan-Sprecher Pater Federico Lombardi. Er sprach dem Straßburger Gerichtshof sogar das Recht ab, sich in dieser Form in ureigenste italienische Angelegenheiten einzumischen. Anscheinend wolle das Gericht die Rolle, die das Christentum in der Identität Europas spiele, negieren. Lombardi wörtlich: "Es ist schwerwiegend, ein fundamentales Zeichen der religiösen Werte in der Geschichte und der Kultur Italiens aus Bildung und Erziehung ausschließen zu wollen. Die Religion leistet einen wertvollen Beitrag für die Bildung und das moralische Wachsen der Menschen, und sie ist ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft. Es ist falsch und kurzatmig, das alles aus unserer Bildungswelt ausschließen zu wollen."
Kurienkardinal Walter Kasper kritisierte das Kruzifix-Verbot des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als "ideologisch". "Das Kreuz entfernen zu wollen, ist intolerant", sagte der Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen.
Nach dem Straßburger Kreuz-Urteil äußerte sich Kardinal-Staatsekretär Tarcisio Bertone pessimistisch über den allgemeinen kulturellen Trend. "Dieses Europa des dritten Jahrtausends lässt uns nur die Kürbisköpfe des jüngst wieder begangenen Halloween-Spektakels und nimmt uns die wertvollsten Symbole", sagte der Kardinal vor Journalisten.
Aldo Giordano, Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhles beim Europarat in Straßburg, formulierte seine erste Einschätzung des Urteils so: "Es scheint, als ob das Urteil auf der Annahme beruht, dass es einen Gegensatz gäbe zwischen dem Zeigen des Kreuzes und dem Pluralismus in der Bildung. Ich glaube, dass dieser Gegensatz völlig ohne Fundament ist. Genauso nimmt das Urteil an, dass es einen Gegensatz zwischen dem Kreuz und der Religionsfreiheit des Individuums gibt, und auch das, scheint mir, muss erst noch bewiesen werden. Wir haben viel Erfahrung mit religiösen Minderheiten, die in einer Gesellschaft leben mit einer mehrheitlich anderen Religion – Minderheiten, die dort frei leben."
Italienische Bischöfe: überrascht und verbittert
Mit Bitterkeit und Überraschung hat die Italienische Bischofskonferenz (CEI) das Kruzifix-Urteil des EuGHMR aufgenommen. Unter den Richtern scheine eine parteiische und ideologische Sichtweise überhandgenommen zu haben, heißt es in einer Stellungnahme der CEI. Die Entscheidung, dass Kruzifixe in Klassenzimmern die Religionsfreiheit verletzen, werde der mehrschichtigen Bedeutung des Kreuzes nicht gerecht. Dieses sei "nicht nur ein religiöses Symbol, sondern auch ein kulturelles Zeichen", so die italienischen Bischöfe. Der bei der Bischofskonferenz für den interkulturellen Dialog zuständige Bischof Vincenzo Paglia monierte, es sei "verantwortungslos, eine auch kulturell und erzieherisch wichtige Dimension auszulöschen".
Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn bezeichnete das Straßburger Urteil als "schlichtweg inakzeptabel". Er machte dabei allerdings keinen Unterschied zwischen dem "Kruzifix" und dem "Kreuz". Im Unterschied zum einfachen Kreuz trägt das Kruzifix den gekreuzigten Jesus (Corpus Christi). Schönborn betonte: "Das Kreuz in den Klassenzimmern verletzt die Religionsfreiheit nicht, auch nicht das freie Bekenntnis der verschiedenen religiösen Überzeugungen. Dieses Symbol ist vielmehr ein Zeichen dafür, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Auf diesem Symbol beruht die europäische und die österreichische Identität. Mit seinem Urteil hat der Menschenrechtsgerichtshof Europa wirklich keinen Dienst getan. Dieser Kontinent hat dann eine Zukunft, wenn er seine Wurzeln nicht leugnet. Das Kreuz ist ein Sinnbild dieser Wurzeln."
Protestantische Minderheit begrüßt die Richterentscheidung
Domenico Maselli, Präsident der Vereinigung Evangelischer Christen Italiens (FCEI), begrüßte das Kruzifix-Verbot in italienischen Schulzimmern ausdrücklich, da es der Religionsfreiheit diene. Wer darin die Negierung der christlichen Wurzeln Europas sehe, verkenne das große Verdienst des Christentums, allen Menschen die Türen zur Freiheit geöffnet zu haben.
Die Moderatorin der Waldenserkirche, Maria Bonafede, erklärte in einer ersten Stellungnahme zum Urteil: "Dieser Gerichtsentscheid wahrt die Rechte aller: jener, die glauben, jener, die anders glauben, und jener, die nicht glauben."
Noch entschiedener drückte sich die Präsidentin der italienischen Baptisten, Anna Maffei, aus: "Den gekreuzigten Christus (Kruzifix) wie ein nationales Symbol zu verteidigen bedeutet, den christlichen Glauben zu verdrehen."
Auch die Italienische Union der Christlichen Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten (Chiesa Cristiana Avventista del Settimo Giorno) sieht im Gerichtsentscheid einen positiven Ansatz. Die Adventisten setzten sich aktiv für die Wahrung der Grundsätze der Religionsfreiheit ein. Dazu gehöre auch die Förderung der allgemeinen Toleranz durch Wahrung der Rechte des Einzelnen, seinen Glauben und seine Überzeugung öffentlich oder privat zu vertreten, sagte Dora Bognandi Pellegrini, Abteilungsleiterin für Religiöse Freiheit der italienischen Adventisten.
Der Dekan der italienischen Lutheraner, Pastor Holger Milkau, wies darauf hin, dass der öffentliche Raum nicht der Ort sei, um Anmaßungen auszudrücken. Laut dem Waldenserprofessor Paolo Ricca sei der Gerichtsentscheid richtig. Im multireligiösen Umfeld müsste ein Kruzifix-Verbot außer in Schulräumen auch in öffentlichen Verwaltungsbüros und Gerichten durchgesetzt werden.
Was war das für ein Urteil?
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat sich in einem Grundsatzurteil gegen Kruzifixe in Klassenzimmern öffentlicher Schulen gewandt. Die Kreuze verletzten das Recht von Eltern, ihre Kinder gemäß ihren eigenen Überzeugungen zu erziehen, erklärten die Richter in Straßburg. Sie verwiesen dabei auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Geklagt hatte eine Italienerin, die eine „säkulare“ Erziehung für ihre beiden schulpflichtigen Kinder verlangt hatte. Vor italienischen Gerichten blieb ihr Protest erfolglos.
Auf atheistische oder andersgläubige Schüler könnte das Kruzifix verstörend wirken, argumentierten die Straßburger Richter. Es sei zudem "unverständlich", inwiefern das Symbol im mehrheitlich katholischen Italien zum Pluralismus innerhalb des Bildungswesens beitrage. Die Kruzifixe verletzten somit die Religionsfreiheit der Schüler. Der italienische Staat muss 5.000 Euro Schadenersatz an die Klägerin zahlen. Die Regierung in Rom kündigte Berufung gegen das Urteil an.
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Der Text kann kostenlos genutzt werden. Veröffentlichung nur mit Quellenangabe "APD" gestattet!
Protestantische Minderheit in Italien zufrieden – Römisch-katholische Kirche übt scharfe Kritik
Rom/Italien, 06.11.2009/APD In krassem Gegensatz stehen die Reaktionen der römisch-katholischen Kirche Italiens (Bischofskonferenz und Vatikan) und der protestantischen Minderheit im Lande auf das Kruzifix-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EuGHMR) in Straßburg. Das Urteil gilt vorerst nur in Italien, ist aber auch für andere Staaten relevant.
Stimmen aus dem Vatikan: Scharfe Kritik
Nach anfänglicher Zurückhaltung kritisierte der Vatikan das Kruzifix-Urteil scharf. Dieser sehe im Kruzifix ein elementares Zeichen für die Bedeutung der religiösen Werte in der italienischen Geschichte und Kultur, sagte Vatikan-Sprecher Pater Federico Lombardi. Er sprach dem Straßburger Gerichtshof sogar das Recht ab, sich in dieser Form in ureigenste italienische Angelegenheiten einzumischen. Anscheinend wolle das Gericht die Rolle, die das Christentum in der Identität Europas spiele, negieren. Lombardi wörtlich: "Es ist schwerwiegend, ein fundamentales Zeichen der religiösen Werte in der Geschichte und der Kultur Italiens aus Bildung und Erziehung ausschließen zu wollen. Die Religion leistet einen wertvollen Beitrag für die Bildung und das moralische Wachsen der Menschen, und sie ist ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft. Es ist falsch und kurzatmig, das alles aus unserer Bildungswelt ausschließen zu wollen."
Kurienkardinal Walter Kasper kritisierte das Kruzifix-Verbot des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs als "ideologisch". "Das Kreuz entfernen zu wollen, ist intolerant", sagte der Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen.
Nach dem Straßburger Kreuz-Urteil äußerte sich Kardinal-Staatsekretär Tarcisio Bertone pessimistisch über den allgemeinen kulturellen Trend. "Dieses Europa des dritten Jahrtausends lässt uns nur die Kürbisköpfe des jüngst wieder begangenen Halloween-Spektakels und nimmt uns die wertvollsten Symbole", sagte der Kardinal vor Journalisten.
Aldo Giordano, Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhles beim Europarat in Straßburg, formulierte seine erste Einschätzung des Urteils so: "Es scheint, als ob das Urteil auf der Annahme beruht, dass es einen Gegensatz gäbe zwischen dem Zeigen des Kreuzes und dem Pluralismus in der Bildung. Ich glaube, dass dieser Gegensatz völlig ohne Fundament ist. Genauso nimmt das Urteil an, dass es einen Gegensatz zwischen dem Kreuz und der Religionsfreiheit des Individuums gibt, und auch das, scheint mir, muss erst noch bewiesen werden. Wir haben viel Erfahrung mit religiösen Minderheiten, die in einer Gesellschaft leben mit einer mehrheitlich anderen Religion – Minderheiten, die dort frei leben."
Italienische Bischöfe: überrascht und verbittert
Mit Bitterkeit und Überraschung hat die Italienische Bischofskonferenz (CEI) das Kruzifix-Urteil des EuGHMR aufgenommen. Unter den Richtern scheine eine parteiische und ideologische Sichtweise überhandgenommen zu haben, heißt es in einer Stellungnahme der CEI. Die Entscheidung, dass Kruzifixe in Klassenzimmern die Religionsfreiheit verletzen, werde der mehrschichtigen Bedeutung des Kreuzes nicht gerecht. Dieses sei "nicht nur ein religiöses Symbol, sondern auch ein kulturelles Zeichen", so die italienischen Bischöfe. Der bei der Bischofskonferenz für den interkulturellen Dialog zuständige Bischof Vincenzo Paglia monierte, es sei "verantwortungslos, eine auch kulturell und erzieherisch wichtige Dimension auszulöschen".
Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn bezeichnete das Straßburger Urteil als "schlichtweg inakzeptabel". Er machte dabei allerdings keinen Unterschied zwischen dem "Kruzifix" und dem "Kreuz". Im Unterschied zum einfachen Kreuz trägt das Kruzifix den gekreuzigten Jesus (Corpus Christi). Schönborn betonte: "Das Kreuz in den Klassenzimmern verletzt die Religionsfreiheit nicht, auch nicht das freie Bekenntnis der verschiedenen religiösen Überzeugungen. Dieses Symbol ist vielmehr ein Zeichen dafür, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Auf diesem Symbol beruht die europäische und die österreichische Identität. Mit seinem Urteil hat der Menschenrechtsgerichtshof Europa wirklich keinen Dienst getan. Dieser Kontinent hat dann eine Zukunft, wenn er seine Wurzeln nicht leugnet. Das Kreuz ist ein Sinnbild dieser Wurzeln."
Protestantische Minderheit begrüßt die Richterentscheidung
Domenico Maselli, Präsident der Vereinigung Evangelischer Christen Italiens (FCEI), begrüßte das Kruzifix-Verbot in italienischen Schulzimmern ausdrücklich, da es der Religionsfreiheit diene. Wer darin die Negierung der christlichen Wurzeln Europas sehe, verkenne das große Verdienst des Christentums, allen Menschen die Türen zur Freiheit geöffnet zu haben.
Die Moderatorin der Waldenserkirche, Maria Bonafede, erklärte in einer ersten Stellungnahme zum Urteil: "Dieser Gerichtsentscheid wahrt die Rechte aller: jener, die glauben, jener, die anders glauben, und jener, die nicht glauben."
Noch entschiedener drückte sich die Präsidentin der italienischen Baptisten, Anna Maffei, aus: "Den gekreuzigten Christus (Kruzifix) wie ein nationales Symbol zu verteidigen bedeutet, den christlichen Glauben zu verdrehen."
Auch die Italienische Union der Christlichen Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten (Chiesa Cristiana Avventista del Settimo Giorno) sieht im Gerichtsentscheid einen positiven Ansatz. Die Adventisten setzten sich aktiv für die Wahrung der Grundsätze der Religionsfreiheit ein. Dazu gehöre auch die Förderung der allgemeinen Toleranz durch Wahrung der Rechte des Einzelnen, seinen Glauben und seine Überzeugung öffentlich oder privat zu vertreten, sagte Dora Bognandi Pellegrini, Abteilungsleiterin für Religiöse Freiheit der italienischen Adventisten.
Der Dekan der italienischen Lutheraner, Pastor Holger Milkau, wies darauf hin, dass der öffentliche Raum nicht der Ort sei, um Anmaßungen auszudrücken. Laut dem Waldenserprofessor Paolo Ricca sei der Gerichtsentscheid richtig. Im multireligiösen Umfeld müsste ein Kruzifix-Verbot außer in Schulräumen auch in öffentlichen Verwaltungsbüros und Gerichten durchgesetzt werden.
Was war das für ein Urteil?
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat sich in einem Grundsatzurteil gegen Kruzifixe in Klassenzimmern öffentlicher Schulen gewandt. Die Kreuze verletzten das Recht von Eltern, ihre Kinder gemäß ihren eigenen Überzeugungen zu erziehen, erklärten die Richter in Straßburg. Sie verwiesen dabei auf die Europäische Menschenrechtskonvention. Geklagt hatte eine Italienerin, die eine „säkulare“ Erziehung für ihre beiden schulpflichtigen Kinder verlangt hatte. Vor italienischen Gerichten blieb ihr Protest erfolglos.
Auf atheistische oder andersgläubige Schüler könnte das Kruzifix verstörend wirken, argumentierten die Straßburger Richter. Es sei zudem "unverständlich", inwiefern das Symbol im mehrheitlich katholischen Italien zum Pluralismus innerhalb des Bildungswesens beitrage. Die Kruzifixe verletzten somit die Religionsfreiheit der Schüler. Der italienische Staat muss 5.000 Euro Schadenersatz an die Klägerin zahlen. Die Regierung in Rom kündigte Berufung gegen das Urteil an.
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