2. Nov. 2009 11:42APDIstanbul/Türkei
Aufgehängte Puppe als Todesdrohung
Adventistischer Pastor: "Die religiöse Situation in der Türkei ist kompliziert"
Istanbul/Türkei, 02.11.2009/APD "Wenn an der Haustür eine an den Füßen aufgehängte Puppe mit abgetrennten Armen und das Gesicht als Fratze aufgemalt zu finden ist, handelt es sich um eine Todesdrohung", gab der Pastor der Siebenten-Tags-Adventisten in Istanbul, Erkin N. (der Name ist der Redaktion bekannt), gegenüber der Nachrichtenagentur APD zu bedenken. Solch eine Puppe hätte seine Frau kürzlich vor dem Eingang ihres Wohnhauses in der Nähe des Bosporus in Istanbul gefunden. Er habe die Polizei verständigt, die Sprengstoffspezialisten hinzuzog. "Doch glücklicherweise enthielt die Puppe keine Bombe." Erkin vermutet, dass die Todesdrohung von radikalen Islamisten stammen könnte.
Die religiöse Situation in der Türkei sei kompliziert, stellte der Pastor fest. Da Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht vom Staat anerkannt seien, existierten sie juristisch nicht. Sie könnten deshalb auch keinen Besitz haben. Ihre Gottes- und Wohnhäuser dürften nur über private Stiftungen ins Grundbuch eingetragen werden. Erkin zeigte auf die Kirche im Garten des Wohnhauses. Ein ansehnliches Gebäude ohne Turm, das Platz für über 200 Gottesdienstbesucher biete. In einem zweiten Raum im Untergeschoss könnten 100 weitere Personen unterkommen. Doch da es Probleme mit der Stiftung gegeben habe, sei das Gebäude von der Polizei geschlossen worden und dürfe nicht mehr genutzt werden. Wegen der Kirche sei ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anhängig. "Doch wegen der Vielzahl der Klagen kann es lange dauern, bis das Gericht entscheidet", meinte Erkin.
Eigentlich sei das Gotteshaus im Garten für die Bedürfnisse der adventistischen Gemeinde viel zu groß. Doch nur dort könnten sich die Adventisten legal zum Gottesdienst versammeln, betonte der Geistliche. Religiöse Veranstaltungen in Privathäusern seien in der Türkei verboten. Das Gesetz wende sich zwar gegen die Islamisten, "trifft aber auch uns Christen", meinte Erkin. Im Erdgeschoss des Wohnhauses habe es einen freien Raum gegeben, in dem sich nun die rund 20 Adventisten regelmäßig am Samstag, dem biblischen Sabbat, zum Gottesdienst treffen. "Doch das ist illegal", stellte der Pastor erneut fest. Vor einiger Zeit seien während des Gottesdienstes Polizisten erschienen und hätten Notizen gemacht. "Doch die Beamten gingen wieder." Die Behörden ließen die Gläubigen bisher gewähren. Als im April 2007 in der osttürkischen Stadt Malatya drei christliche Mitarbeiter eines Buch- und Bibelverlages ermordet wurden, habe das Wohnhaus sogar einige Zeit unter Polizeischutz gestanden.
Nach der Ursache der Todesdrohung befragt, äußerte der Pastor, dass früher die adventistische Gemeinde in Istanbul hauptsächlich aus Armeniern mit christlicher Herkunft bestanden habe. "Doch die sind längst in andere Länder ausgewandert." Die heutige Gemeinde bestehe ausschließlich aus Türken muslimischen Ursprungs. "Das erregt den Zorn der Islamisten."
Laut Erkin gibt es in Istanbul noch eine zweite adventistische Gemeinde. Sie versammele sich im asiatischen Teil der Stadt zu ihren Gottesdiensten in einer römisch-katholischen Kirche. Damit wäre der Gemeinde geholfen, die sich legal treffen könne, aber auch den Katholiken, deren Kirche wieder genutzt werde. Die Gemeinde bestehe aber nicht aus Türken, sondern aus osteuropäischen Adventisten, die in Istanbul arbeiteten. Auch in Izmir gebe es zwei adventistische Gemeinden. Die eine bestehe aus Türken, die andere aus Bewohnern der ehemaligen Sowjetunion.
1889 kam mit Theodore Anthony der erste adventistische Missionar nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Er gründete 1893 eine kleine Gemeinde in Alexandretta (Iskenderun). Unter den ersten Gläubigen war auch der Armenier Zadour G. Baharian. Er wurde 1894 als erster einheimischer Pastor ordiniert. 1893 entstanden weitere adventistische Gemeinden in Konstantinopel (20 Mitglieder) sowie in Ovajuk und Bardizag (je 30 Mitglieder). 1904 gründete der aus den USA stammende Arzt Dr. A. W. George eine kleine Klinik in Istanbul. 1909 entstand in Bardizag ein theologisches Seminar. Eine Zahnklinik unter Leitung des Franzosen Dr. Girou kam 1912 in Smyrna (Izmir) hinzu. Bereits im Jahre 1909 schufen die Adventisten in Konstantinopel eine eigene Kirchenleitung, die 1910 von den osmanischen Behörden registriert wurde. Direktor des "Champ Missionaire Ottoman des Adventistes du Septième Jour" war der aus Hamburg entsandte Schweizer Missionar Emil Eduard Frauchiger.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges gab es auf dem Gebiet der heutigen Türkei rund 350 Adventisten, die hauptsächlich armenischer Herkunft waren. Von ihnen verloren in den nachfolgenden Jahren 167 ihr Leben. Einige traten zum Islam über, um sich zu retten. Eines der ersten Opfer war der als "adventistische Vater" bekannt gewordene Pastor Zadour G. Baharian. Er wurde 1915 während einer Missionsreise bei Sivas von türkischen Soldaten ermordet. Der Geistliche sollte seinem christlichen Glauben abschwören und auf der Stelle zum Islam konvertieren. Als er sich weigerte und die Hände zum Gebet faltete, wurde er erschossen. Ihm folgten sieben weitere adventistische Pastoren, zum Teil mit ihren Familien. Zuletzt auch Diran Tcherakian.
Wer nicht gleich umgebracht wurde, starb auf Todesmärschen. Der bekannte armenische Lyriker und Hochschullehrer Tcherakian wurde 1915 Adventist. Als Wanderprediger durchzog er 1921 Anatolien, um die bedrohten und verängstigten adventistischen Gemeindemitglieder zu trösten. In Konya wurde er festgenommen und vor Gericht gestellt, da er nicht zum Widerruf seines Glaubens bereit war. Seine mitangeklagten beiden Brüder wurden gleich erschossen. Tcherakian musste monatelang zu Fuß und in Ketten, von türkischen Milizionären geschlagen und gefoltert, durch das karge Bergland Anatoliens ziehen. Nach etwa eintausend Kilometern kamen die Gefangenen Anfang Juni 1921 in der Stadt Diyarbakir am Ufer des Tigris an. Die todbringende syrische Wüste lag nun vor ihnen. Dort starb Tcherakian an Erschöpfung.
1923 hatten die meisten überlebenden Adventisten die Türkei verlassen. Die Kirchenleitung wurde bereits 1916 aufgelöst, die Kliniken und das Seminar bestanden schon seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr. 1948 hatte die Freikirche in Istanbul wieder 70 Mitglieder, hauptsächlich armenischer Herkunft. Für sie wurde in den 1950er Jahren die zur Zeit geschlossene Kirche gebaut. Von 1964 bis 1973 gab es in Istanbul auch wieder eine kleine Klinik. 1993 existierte auch eine englische Sprachschule. Doch immer mehr Armenier wanderten aus, sodass sich ab 1994 nur noch rund 15 Gläubige in der für sie viel zu großen Kirche zum Gottesdienst versammelten. Im Sommer kamen noch ausländische Urlauber hinzu. Schließlich verließen auch die letzten armenischen Adventisten das Land, und Pastor Erkin N. gründete eine neue, aus Türken bestehende Gemeinde.
Von den 70,5 Millionen Einwohnern der Türkei sind 99 Prozent Muslime, davon 70 Prozent Sunniten und 15 bis 25 Prozent Aleviten. Die Zahl der Christen wird auf unter 100.000 geschätzt, wobei die meisten von ihnen orthodoxen Kirchen angehören.
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Der Text kann kostenlos genutzt werden. Veröffentlichung nur mit Quellenangabe "APD" gestattet!
Adventistischer Pastor: "Die religiöse Situation in der Türkei ist kompliziert"
Istanbul/Türkei, 02.11.2009/APD "Wenn an der Haustür eine an den Füßen aufgehängte Puppe mit abgetrennten Armen und das Gesicht als Fratze aufgemalt zu finden ist, handelt es sich um eine Todesdrohung", gab der Pastor der Siebenten-Tags-Adventisten in Istanbul, Erkin N. (der Name ist der Redaktion bekannt), gegenüber der Nachrichtenagentur APD zu bedenken. Solch eine Puppe hätte seine Frau kürzlich vor dem Eingang ihres Wohnhauses in der Nähe des Bosporus in Istanbul gefunden. Er habe die Polizei verständigt, die Sprengstoffspezialisten hinzuzog. "Doch glücklicherweise enthielt die Puppe keine Bombe." Erkin vermutet, dass die Todesdrohung von radikalen Islamisten stammen könnte.
Die religiöse Situation in der Türkei sei kompliziert, stellte der Pastor fest. Da Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht vom Staat anerkannt seien, existierten sie juristisch nicht. Sie könnten deshalb auch keinen Besitz haben. Ihre Gottes- und Wohnhäuser dürften nur über private Stiftungen ins Grundbuch eingetragen werden. Erkin zeigte auf die Kirche im Garten des Wohnhauses. Ein ansehnliches Gebäude ohne Turm, das Platz für über 200 Gottesdienstbesucher biete. In einem zweiten Raum im Untergeschoss könnten 100 weitere Personen unterkommen. Doch da es Probleme mit der Stiftung gegeben habe, sei das Gebäude von der Polizei geschlossen worden und dürfe nicht mehr genutzt werden. Wegen der Kirche sei ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anhängig. "Doch wegen der Vielzahl der Klagen kann es lange dauern, bis das Gericht entscheidet", meinte Erkin.
Eigentlich sei das Gotteshaus im Garten für die Bedürfnisse der adventistischen Gemeinde viel zu groß. Doch nur dort könnten sich die Adventisten legal zum Gottesdienst versammeln, betonte der Geistliche. Religiöse Veranstaltungen in Privathäusern seien in der Türkei verboten. Das Gesetz wende sich zwar gegen die Islamisten, "trifft aber auch uns Christen", meinte Erkin. Im Erdgeschoss des Wohnhauses habe es einen freien Raum gegeben, in dem sich nun die rund 20 Adventisten regelmäßig am Samstag, dem biblischen Sabbat, zum Gottesdienst treffen. "Doch das ist illegal", stellte der Pastor erneut fest. Vor einiger Zeit seien während des Gottesdienstes Polizisten erschienen und hätten Notizen gemacht. "Doch die Beamten gingen wieder." Die Behörden ließen die Gläubigen bisher gewähren. Als im April 2007 in der osttürkischen Stadt Malatya drei christliche Mitarbeiter eines Buch- und Bibelverlages ermordet wurden, habe das Wohnhaus sogar einige Zeit unter Polizeischutz gestanden.
Nach der Ursache der Todesdrohung befragt, äußerte der Pastor, dass früher die adventistische Gemeinde in Istanbul hauptsächlich aus Armeniern mit christlicher Herkunft bestanden habe. "Doch die sind längst in andere Länder ausgewandert." Die heutige Gemeinde bestehe ausschließlich aus Türken muslimischen Ursprungs. "Das erregt den Zorn der Islamisten."
Laut Erkin gibt es in Istanbul noch eine zweite adventistische Gemeinde. Sie versammele sich im asiatischen Teil der Stadt zu ihren Gottesdiensten in einer römisch-katholischen Kirche. Damit wäre der Gemeinde geholfen, die sich legal treffen könne, aber auch den Katholiken, deren Kirche wieder genutzt werde. Die Gemeinde bestehe aber nicht aus Türken, sondern aus osteuropäischen Adventisten, die in Istanbul arbeiteten. Auch in Izmir gebe es zwei adventistische Gemeinden. Die eine bestehe aus Türken, die andere aus Bewohnern der ehemaligen Sowjetunion.
1889 kam mit Theodore Anthony der erste adventistische Missionar nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Er gründete 1893 eine kleine Gemeinde in Alexandretta (Iskenderun). Unter den ersten Gläubigen war auch der Armenier Zadour G. Baharian. Er wurde 1894 als erster einheimischer Pastor ordiniert. 1893 entstanden weitere adventistische Gemeinden in Konstantinopel (20 Mitglieder) sowie in Ovajuk und Bardizag (je 30 Mitglieder). 1904 gründete der aus den USA stammende Arzt Dr. A. W. George eine kleine Klinik in Istanbul. 1909 entstand in Bardizag ein theologisches Seminar. Eine Zahnklinik unter Leitung des Franzosen Dr. Girou kam 1912 in Smyrna (Izmir) hinzu. Bereits im Jahre 1909 schufen die Adventisten in Konstantinopel eine eigene Kirchenleitung, die 1910 von den osmanischen Behörden registriert wurde. Direktor des "Champ Missionaire Ottoman des Adventistes du Septième Jour" war der aus Hamburg entsandte Schweizer Missionar Emil Eduard Frauchiger.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges gab es auf dem Gebiet der heutigen Türkei rund 350 Adventisten, die hauptsächlich armenischer Herkunft waren. Von ihnen verloren in den nachfolgenden Jahren 167 ihr Leben. Einige traten zum Islam über, um sich zu retten. Eines der ersten Opfer war der als "adventistische Vater" bekannt gewordene Pastor Zadour G. Baharian. Er wurde 1915 während einer Missionsreise bei Sivas von türkischen Soldaten ermordet. Der Geistliche sollte seinem christlichen Glauben abschwören und auf der Stelle zum Islam konvertieren. Als er sich weigerte und die Hände zum Gebet faltete, wurde er erschossen. Ihm folgten sieben weitere adventistische Pastoren, zum Teil mit ihren Familien. Zuletzt auch Diran Tcherakian.
Wer nicht gleich umgebracht wurde, starb auf Todesmärschen. Der bekannte armenische Lyriker und Hochschullehrer Tcherakian wurde 1915 Adventist. Als Wanderprediger durchzog er 1921 Anatolien, um die bedrohten und verängstigten adventistischen Gemeindemitglieder zu trösten. In Konya wurde er festgenommen und vor Gericht gestellt, da er nicht zum Widerruf seines Glaubens bereit war. Seine mitangeklagten beiden Brüder wurden gleich erschossen. Tcherakian musste monatelang zu Fuß und in Ketten, von türkischen Milizionären geschlagen und gefoltert, durch das karge Bergland Anatoliens ziehen. Nach etwa eintausend Kilometern kamen die Gefangenen Anfang Juni 1921 in der Stadt Diyarbakir am Ufer des Tigris an. Die todbringende syrische Wüste lag nun vor ihnen. Dort starb Tcherakian an Erschöpfung.
1923 hatten die meisten überlebenden Adventisten die Türkei verlassen. Die Kirchenleitung wurde bereits 1916 aufgelöst, die Kliniken und das Seminar bestanden schon seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr. 1948 hatte die Freikirche in Istanbul wieder 70 Mitglieder, hauptsächlich armenischer Herkunft. Für sie wurde in den 1950er Jahren die zur Zeit geschlossene Kirche gebaut. Von 1964 bis 1973 gab es in Istanbul auch wieder eine kleine Klinik. 1993 existierte auch eine englische Sprachschule. Doch immer mehr Armenier wanderten aus, sodass sich ab 1994 nur noch rund 15 Gläubige in der für sie viel zu großen Kirche zum Gottesdienst versammelten. Im Sommer kamen noch ausländische Urlauber hinzu. Schließlich verließen auch die letzten armenischen Adventisten das Land, und Pastor Erkin N. gründete eine neue, aus Türken bestehende Gemeinde.
Von den 70,5 Millionen Einwohnern der Türkei sind 99 Prozent Muslime, davon 70 Prozent Sunniten und 15 bis 25 Prozent Aleviten. Die Zahl der Christen wird auf unter 100.000 geschätzt, wobei die meisten von ihnen orthodoxen Kirchen angehören.
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