Andacht 26. April 2025
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Bibel
Glauben

25. Apr. 2025 22:01Dennis Meier

Andacht 26. April 2025

Gedanken zum Thema: Gerechtigkeit

Für das Alte Testament ist dies eine schockierende Aussage. Immer wieder hören wir vom Tun-Ergehen-Zusammenhang. Die Freunde Hiobs zum Beispiel werden nicht müde, ihrem leidenden Kumpel den Zusammenhang zwischen seinem Schicksal und seinem Ergehen anzuquatschen. Ja, unser ganzer Sinn für Gerechtigkeit, unsere buchhalterischen Moralvorstellungen beruhen auf der Plus-Minus-Rechnung, die wir für Gerechtigkeit halten. Wenn man bei YouTube diesem Ansinnen frönen will, muss man nur den Suchbegriff „instant karma“ eingeben und sieht sehr befriedigende Szenen, bei denen Menschen die Quittung für ihre Alltagsteufeleien postwendend bekommen. Ein Fest der Schadenfreude sozusagen.

Aber Schadenfreude bezieht sich bekanntlich immer auf den Schaden der anderen, denn der eigene macht selten Freude, es sei denn, es sind lässliche Vorgänge und man ist mit genügend Humor ausgestattet. Oder man kann damit Klicks erzeugen und Geld verdienen (aber dann ist es auch kein Schaden mehr).

Durch all diese frommen und gerechten Nähte des Gewebes der hebräischen Bibel scheint etwas durch, was in Jesus letztlich menschliche Gestalt annahm: die Barmherzigkeit. Das Aussetzen der moralischen Aufrechnung, die wir für die richtige und angemessene Form von Gerechtigkeit halten. Noch einmal: Der Satz könnte nicht radikaler sein. Wie oft wünschen wir uns, dass Gott die Menschen – und oft meinen wir ganz bestimmte – nach ihrem Handeln „verarztet“.

Bisher schreibt David in diesem Psalm in der zweiten Person Singular, der Du-Form. Nur in unserem heutigen Vers mit seiner so schockierenden Aussage ist plötzlich von „uns“ die Rede, öffnet sich also die Erkenntnis, nicht nur zum barmherzigen Erleben Gottes an mir als Individuum, sondern zum Handeln Gottes an „uns“. Damit wird zugleich die Frage gestellt, wie eine Gemeinschaft, eine Gemeinde aussehen würde, die nicht nach „unseren“ Sünden handelt und nicht nach „unseren“ Taten vergilt.

Ist Barmherzigkeit nur Gottes Bereich, die gnädige Insel im Meer der Aufrechnungen und Vergeltungen? Oder ahnt David, dass Gottes Handeln den Keim eines völlig neuen Wir in sich trägt? Und noch praktischer: Wie würde ich diesen Satz heute in meinem Handeln durch den Tag tragen?

Zum Bibelvers: Psalm 103,10

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